„Weil ihr Gäste seid in unserem Land!“

Über das Fremdsein.  

Etwa 8.000 km und 2einhalb Jahre von Deutschland entfernt, erreichen uns in diesen Tagen schreckliche Nachrichten: über katastrophale Zustände für Flüchtlinge und über grauenvolle Ereignisse in unserer Heimat.

Flüchtlinge verdursten auf dem Meer oder ersticken in Schlepperfahrzeugen, die EU kann sich bei den Hilfsleistungen nicht einigen, wieder brennen Flüchtlingsheime, es wird auf ausländische Kinder uriniert … und zu allem Überfluss quillt aus allen möglichen und unmöglichen Löchern diese erbärmliche braune Soße. Bedauerlicherweise überschatten die negativen Schlagzeilen über diese grenzdebilen, verbitterten und beschämenden Rechtsradikalen die Berichterstattungen über die unzähligen guten Menschen und ihre Aktionen in Deutschland.

Wir möchten uns jetzt nicht explizit zur Flüchtlingssituation äußern, das können ein Herr Todenhöfer, ein Herr Berg, Yoko und Klaas und viele ausgezeichnete Journalisten eindeutig besser oder fundierter. Danke für diese eindrücklichen und klaren Worte zu diesem Thema, die uns auch in der Ferne erreichen!

Um uns über die Situation vor Ort in Deutschland äußern zu können, fehlt uns aktuell die räumliche Nähe sowie uneingeschränkt verfügbare Information. Doch möchten wir ein paar ganz persönliche Gedanken teilen, wie sich diese aktuellen Schlagzeilen anfühlen wenn man seit geraumer Zeit „fremd“ ist in der Fremde – egal wo das gerade ist – ohne den Anspruch zu erheben, dass unsere Situation auch nur im Entferntesten mit der Situation eines Flüchtlings vergleichbar wäre. Es geht uns im Folgenden um das Fremdsein als solches …

 

Sich als Fremde schämen müssen.

Peter. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern. Im Sommer 2014 streifen wir als Fremde durch die Straßen von Srinagar in Kaschmir – Nordindien. Es ist warm und staubig, die Stadt wirkt aufgeräumt, die Menschen sind höflich, zurückhaltend – und neugierig. Wir spazieren an einem Tuktukfahrer vorbei. Äußerst eloquent und lächelnd schlägt er vor „It’s way too hot for walking!“ Wir schmunzeln. Und kommen ins Gespräch. Seinen Namen habe ich vergessen – nicht aber, dass er einen Verwandten in Deutschland hat und gerade sein Geld spart, um diesen bald besuchen zu können. Wir tauschen aus, was wir gemacht haben, warum er hier ist und warum wir hier sind. Wir führen ein kurzweiliges Gespräch, verabschieden uns fröhlich und wünschen uns gegenseitig viel Glück bei allem was wir vorhaben. Als wir schon am Aufbrechen sind bricht es aus ihm heraus „Is it true that foreigners with dark skin might get in trouble in Germany?“

Ich möchte am liebsten im Erdboden versinken, so sehr schäme ich mich in diesem Augenblick! Scham, weil ich weiß, dass seine Frage und die damit verbundene Angst eine Berechtigung hat. Verdammt, wie gehen wir in Deutschland eigentlich mit Fremden um? Ich bin zunächst sprachlos, was mir nicht so oft passiert. Was sage ich denn nun? Was muss ich sagen? Wie sehr muss ich einen potenziellen Gast – einen Fremden in Deutschland warnen? Und wie sehr müsste ich einen potenziellen Gast nun im August 2015 davon abhalten nach Deutschland zu reisen? Möchte ich, dass ein Fremder in seine Heimat zurückkehrt und von dem Wahnsinn, den er oder sie in Deutschland miterleben könnte, berichtet? Bloß nicht.

Jen. Ich kann mich noch sehr gut an diesen ersten Tag in Kaschmir erinnern. Ich hatte in der Früh beim Gesang des Muezzins schon Tränen der Rührung in den Augen weil er mich wie immer an unsere unvergessliche Zeit in der Türkei, im Iran und im Oman erinnerte.

Hin und wieder werden wir gefragt, ob dieses oder jene Land unserer Reise nicht gefährlich sei. Der Iran vielleicht? Kaschmir? Kurdistan? Narathiwat in Thailand? Manipur? Natürlich herrschen in unzähligen Staaten Konflikte. Es gibt bestimmte Regionen, öffentliche Versammlungen sowie Situationen, die man als Reisender meiden oder mit besonderer Vorsicht aufsuchen sollte.

Nach meiner ganz persönlichen Erfahrung sind jedoch nicht Länder an sich gefährlich. Der Ruf dieser Länder wird überschattet von einzelnen, unreflektierten, gewaltbereiten, indoktrinierten, radikalen Menschen oder Gruppen, die in vielen Staaten dieser Erde anzutreffen sind und in der Regel auch von ihren eigenen Landsleuten sehr gefürchtet sind. Dennoch muss das Auswärtige Amt aufgrund gewalttätiger Zwischenfälle eine Sicherheitswarnung aussprechen. Dass die große Mehrheit der Menschen in Pakistan, Kurdistan oder Iran friedlich – und einfach nur wundervoll ist, wird auch hier von den negativen Schlagzeilen über Einzelfälle oder von militärischen Konflikten überschattet.

Ich habe die Befürchtung, die Ämter vieler Staaten müssten schon bald Reisewarnungen für bestimmte Regionen, öffentliche Versammlungen oder Situationen in Deutschland aussprechen, nur weil einige unserer gewaltbereiten und erbärmlichen deutschen Mitbürger die große Mehrheit der friedlichen, hilfsbereiten und sozial engagierten deutschen Bevölkerung überschatten. Und das ist furchtbar traurig.

 

Fremdsein als Geschenk.

Peter. Wir sitzen entspannt vor unserem Truck an einem Strand. Wir lauschen den Wellen und beobachten die einheimischen Familien wie sie das Gleiche tun. Die Sonne ist gerade untergegangen und wir überlegen, was wir kochen könnten. Plötzlich stehen vier junge Mädchen mit gefüllten Tellern vor uns und überreichen uns diese lächelnd. Wir sind sprachlos und nehmen an, denn abzulehnen wäre äußerst unhöflich. Jetzt überlegen wir nicht mehr, was wir zu Abend essen, sondern wir erleben einen wunderschönen, bereichernden Abend in der Fremde, lernen Vieles über den Islam – von dem wir übrigens unheimlich viel Schönes lernen können – erkennen und verstehen. Und wir sind wie so oft ein wenig beschämt, weil wir so viel Gastfreundschaft erfahren dürfen. Doch warum eigentlich? Weil dies in unserer eigenen Kultur so ungewöhnlich ist? Hätten wir am Tegernsee sitzend das Gleiche mit offensichtlich Fremden getan? Nur weil sie Fremde sind? Ich vermute nicht. Aber warum eigentlich nicht?

„Reisende und Fremde sind Geschenke Gottes.“ So zumindest die Erklärung eines guten iranischen Freundes. Der Prophet Mohammed habe den Wert der Gastfreundschaft selbst bei seiner Flucht von Mekka nach Medina erfahren.

Wenn dieses Erlebnis für uns nur ein Einzelfall gewesen wäre, hätte ich vielleicht gesagt „Glück gehabt.“ Aber das war es nicht.

Ich unterhalte mich keine vier Minuten mit einem fremden Mann an der malaysischen Ostküste. Ich erzähle ihm, wie wir hierher gekommen sind und dass wir in wenigen Tagen nach Johor Bahru fahren werden um unser Auto für die Überfahrt nach Russland vorzubereiten: waschen, putzen, dampfstrahlen. Er gibt mir seine Karte, ich gebe ihm unsere Email-Adresse. Zwei Emails und einen Telefonanruf später wohnen Jen und ich – zwei völlig Fremde – in der luxuriösen 100qm-Firmenwohnung dieses für uns wildfremden Mannes und dürfen waschen was die Maschine hergibt. Sechs Tage lang. Der Kühlschrank wurde nur für uns gefüllt. Ach so, er selbst war leider geschäftlich unterwegs, doch seine Kollegen haben uns die Schlüssel gebracht, uns zum Essen ausgeführt und wir durften unser Auto in der kleinen Fabrik des Mannes auf Vordermann bringen. Die Schlüssel sollten wir nach 6 Tagen einfach in den Briefkasten werfen. So einfach.

Für die vier sehr jungen Frauen am Schwarzen Meer war es das Normalste der Welt, zwei Fremden etwas zu Essen anzubieten. Aus unserer Perspektive war es das überhaupt nicht. Aus unserer Perspektive schien es auch nicht normal, Wildfremden die Wohnung zu überlassen. Für diesen Mann in Malaysia schon.

Jen. Ich behaupte nicht, dass Reisen das einzig Richtige ist, um wertvolle Erfahrungen für das Leben zu sammeln. Das wäre Blödsinn. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten das Dasein zu erleben und zu erfassen. Es gibt jedoch eine ganz bedeutsame Erfahrung des Reisens die ich ausdrücklich und immer wieder teilen möchte:

Als Reisende sind wir Fremde. Und auch wenn ich aufgehört habe die Situationen zu zählen, so erinnere ich mich an jede einzelne Einladung zum Tee, zu einem Picknick, einem Abendessen, an jedes Gästezimmer das uns für die Nacht angeboten wurde, jeden Parkplatz oder Garten für unser Auto, jede spontane Hilfe in zunächst aussichtslosen Situationen, an das Wasser das uns immer und überall zur Verfügung gestellt wurde, oder die einfache Frage „Hey, braucht ihr Hilfe?“ … unabhängig des Alters, der Kultur, der Religion oder des Vermögens dieser Menschen. Das Ergreifende für mich ist jedoch die Antwort die wir immer wieder hörten, wenn wir einige dieser Menschen gefragt haben, warum sie das tun. „Weil ihr Fremde seid. Und weil ihr Gäste seid in unserem Land!“ So einfach.

Wenn ich in diesen Tagen die Aussagen einiger dieser armseligen, schreienden Hetzer betrachte, so höre ich da immer wieder abenteuerliche Sorgen heraus. Sorge um sie selbst. Sorge um ihren Arbeitsplatz. Sorge um ihre Kinder. Sorge um ihre Sicherheit. Sorge um ihren Wohlstand. Sorge um ihre Komfortzone. Sorge um den Erhalt ihrer Kultur. Sorge um ihren Baumarkt, ihre Turnhalle oder ihr Dorf.

Dieses Gedankengut ist einfach beschämend und kotzt mich an, wenn ich daran denke, dass wir als Fremde auf Reisen immer wieder unvoreingenommen mit großer Sorge behandelt wurden. Doch man machte sich Sorgen um uns. Sorge um unsere Sicherheit (in der Regel völlig unbegründet). Sorge um unsere Mahlzeiten. Sorge um unseren Wasservorrat. Sorge um unsere Unterkunft für die Nacht. Sorge um unseren Komfort. Und warum? Weil wir Fremde sind. Ganz einfach.

Iranische LKW-Fahrer lassen uns an der 500m langen Schlange der Tankstelle vorbeiziehen – weil wir Fremde sind. Ein omanischer Millionär fährt uns persönlich zum einzigen Laden der Silikonpumpen verkauft – weil wir Fremde sind. Ein russischer Parkplatzwächter schenkt uns Tee und Klopapier – weil wir Fremde sind. Ein mongolischer Junge bringt uns auf Geheiß seiner Eltern getrocknete Stutenmilch ans Auto – weil wir Fremde sind. Der kurdische Bauer fragt uns woher wir kommen, wohin wir reisen – weil wir Fremde sind. Es gibt unzählige dieser Geschichten!

Das Besondere ist, dass die meisten dieser Menschen in eine Beziehung zu uns treten, voller Neugier und mit offenen Herzen. Unser Fremdsein wird als Geschenk betrachtet, die Begegnung mit uns als Privileg, als Bereicherung, als Inspiration, als Chance ein paar Brocken Englisch anzuwenden, als Möglichkeit etwas zu lernen, über uns und unsere Kultur und über das, an was wir glauben. Und nur, weil wir Fremde sind.

 

Fremdsein in Deutschland.

Natürlich können wir unser Dasein als Reisende nicht mit der Situation von Flüchtlingen vergleichen. Das wäre absurd. Wir beide und viele andere reisen weil wir das wollen, haben auf unseren 7 Quadratmetern meist mehr Annehmlichkeiten als ein Großteil der Menschheit, wir können jederzeit zurück nach Hause, haben Reserven auf dem Konto, können Gefahren umgehen und wissen unsere Familien in Sicherheit. Flüchtlinge dagegen begeben sich in große Lebensgefahr, sie geben alles auf, müssen unter menschenunwürdigen Verhältnissen ihre Familien, ihre Heimat und ihre Kultur zurücklassen, sie haben oft alles verloren. Mit Reisen hat das nichts zu tun.

Doch verdienen Fremde unter diesen Bedingungen nicht unverhältnismäßig mehr Hilfe, mehr Gastfreundschaft und mehr offene Türen – als uns „reichen“ Reisenden überall auf der Welt entgegen gebracht wird? Und weil sie Gäste sind, in unserem Land!

Ihr jämmerlichen Hasser und bedauerlichen Hetzer: es gibt zweifelsohne unzählige Möglichkeiten, den Flüchtlingen – den Fremden in unserem Land – ein würdiges Leben fernab ihrer geliebten und vermissten Heimat zu ermöglichen – ohne den Lebensstandard oder die Komfortzone auch nur eines einzelnen Deutschen herabsetzen zu müssen. Macht euch da mal keine Sorgen! Vielleicht lohnt sich an dieser Stelle auch einmal der Vergleich unseres „Lebensstandards“ mit dem der meisten anderen Länder der Welt – mitunter einiger der Länder, die wir in den letzten zwei Jahren als Fremde kennengelernt haben – und in denen wir den Begriff „Gastfreundschaft“ von der anderen Seite – als Fremde – erfahren durften.

Und auch wenn mit der Einladung zu einer Tasse Tee oder der einfachen Frage „Woher kommst du?“ keine globalen, politischen Berge versetzt werden, so wird in jedem Fall ein Herz erwärmt.

 


 


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