Glaarkshouse

Angst und Schrecken in Korea.

… und eigentlich ist Seoul doch wunderschön.

Die Seele einer Metropole wie Seoul in zwei Tagen zu erfassen ist zweifellos nicht möglich. Dennoch passiert es mir ganz oft, dass ich mir unheimlich schnell ein erstes Bild gezeichnet habe. Dafür genügt schon der Geruch am Flughafen, eine kuriose Spiegelung in einem Fenster, der zufällige Sonnenschein oder eben Regen, die erste Begegnung mit einem Menschen oder die Atmosphäre eines U-Bahnhofs … um eine Stadt von Anfang an zu lieben … oder eben nicht. Und obwohl wir in Seoul die schrecklichsten Sekunden unserer Reise erleben, bleibt die Stadt für mich in bildschöner Erinnerung.

Aber nochmal von vorn. Im Mai starten wir die Verschiffung unseres Trucks von Singapur über Japan nach Russland. In dieser Zeit machen wir Reiseurlaub in Indonesien. Anfang Juni buchen wir unsere Flüge von Denpasar über Singapur, wo wir unsere Russlandvisa in Empfang nehmen wollen, und dann über Ho-Chi-Minh und Seoul nach Vladivostok. Ein wahrer Flugmarathon, der uns da bevor steht. Um die Flugzeit etwas zu entzerren – und weil Peter gerne einen alten Kollegen besuchen möchte, entscheiden wir uns für einen zweitägigen Stoppover in Seoul. Gesagt getan. Gebucht.
Zwei Tage später, wir liegen schon frisch gebadet im balinesischen Bett, flucht Peter laut beim Lesen der Online-News. MERS! MIST! Wir haben noch nie zuvor davon gehört, doch wie so oft bei einer Seuche wird das Thema in den deutschen Medien ausreichend panisch dargestellt. Zunächst etwas irritiert recherchieren wir auf den Seiten des Robert-Koch-Instituts, des Auswärtigen Amts, des WHO und nicht zuletzt persönlich bei Peters Freund vor Ort in Seoul. Wir entscheiden: wir fliegen! Und für unsere eigene Psychohygiene entscheiden wir uns für ein paar Gesichtsmasken in der Tasche und die ein oder andere Taxifahrt in der Innenstadt – anstatt der Fahrt mit der vielleicht überfüllten U-Bahn.

Unser Flugmarathon sowie das Abholen unserer Zweitpässe gestalten sich relativ geschmeidig und wir sind nur wahnsinnig müde als wir unser winziges Hostel-Zimmer im Zentrum Seouls erreichen. Schnell sind unsere Bedenken zu MERS verflogen, wir spüren in der 20-Millionenstadt absolut nichts von der in den Medien geschilderten Massenpanik, verzichten sogleich auf die Masken und fahren auch mit der U-Bahn! Das Virus sei bisher eh nur in einigen großen Krankenhäusern im Zentrum verbreitet worden – so lesen wir.

Seoul

Nach einem kurzen Powernap freuen wir uns über einen ersten kleinen Spaziergang durch die überwältigende Stadt, ein echtes koreanisches Dinner mit Michael und seinem Freund Tobi, einem entspannten Barbesuch in Itaewon … sind überrascht dass wir bis halb Zwei durchhalten … und dass die U-Bahn nicht mehr fährt!
Kurzerhand stoppen wir ein Taxi und wissen noch nicht, dass wir in wenigen Minuten den vielleicht gefährlichsten Moment unserer Reise erleben werden.

Seoul Seoul Seoul

Peter sitzt vorn und döst, während ich hinter ihm sitze und mich wundere, als der mit seinem Navi beschäftigte Taxifahrer in der Kurve eines Tunnels einfach nicht abbremst. Wir sind zu schnell. Viel zu schnell! Ich schreie nur „Peter!“ … und höre von diesem ein lautes „Kopf runter!“ als wir zum ersten Mal links gegen die Tunnelwand krachen. Mir unserer Geschwindigkeit von etwa 80 … vielleicht sogar 90 km/h bewusst, erinnere ich mich jetzt noch an meinen ersten und einzigen Gedanken: „Das war’s. Jetzt sterben wir!“ Wir krachen rechts an die Tunnelwand, dann wieder links, dann wieder rechts. Ich schreie!
Und dann bleiben wir etwa 400m nach dem ersten Aufprall stehen. Zum Glück gab es keinen Gegenverkehr. Wir steigen aus, schauen uns an, betasten uns, befühlen uns, schauen nach dem Fahrer. Alles dran? Alles okay? Trügt der Schein? Bist du okay? Peter? Peter schnappt sich noch schnell den Zündschlüssel (des vielleicht betrunkenen Fahrers?) … eigentlich überflüssig, denn der Wagen ist im Eimer. Total!

Seoul

Peter hält mich fest und ich weine. Ich weine und kann nicht mehr aufhören.
Der Gedanke, was hätte passieren können, lässt mich völlig zusammenbrechen. Wie unter einer Glocke nehme ich das Erscheinen der vielen Polizeiwagen kaum wahr. Peter hält mich einfach nur fest und fragt mich immer wieder, ob alles okay ist. Peter hat Schmerzen in der Brust, mein Bein blutet, der Kopf tut weh. Irgendwie. Plötzlich stehen wir inmitten einiger Notärzte vor einem Krankenwagen. Man will uns ins Krankenhaus bringen um uns durchzuchecken. Geistesgegenwärtig flüstert Peter mir zu „Nein. Wir gehen nicht ins Krankenhaus. Dieses MERS …“ Wir versprechen uns, uns gegenseitig und gewissenhaft zu beobachten und nur dann ins Krankenhaus zu fahren, sollten wir später erhebliche Kopf- oder Nackenschmerzen bekommen.
Nach einem Protokoll auf der Polizeidienststelle – völlig lost in translation – lassen wir uns von einem Polizeiwagen ins Hostel fahren. Es ist mittlerweile 4 Uhr morgens als wir todmüde und erschöpft in einen komatösen Schlaf fallen.

Der folgende Tag ist geprägt von immer wieder aufflackernden Wellen der Erschütterung, der Traurigkeit über dieses Erlebnis … und furchtbaren Schmerzen! Wir haben viele stechende Prellungen, vermutlich ein kleines Schleudertrauma und humpeln uns mühsam durch die Stadt. Wir reden nicht viel an diesem Tag. Ich muss immer wieder heulen. Manchmal auch einfach nur vor Glück, weil nichts passiert ist. Ein Wunder. Und ein Wunder ist auch, dass wir Seoul extrem lieb gewonnen haben. Das Wenige was wir sehen durften, hat uns einfach unheimlich gut gefallen. Seoul for our souls. Seoul hat uns mit seiner Wärme und Schönheit umarmt. Und diese Taxifahrt hätte in jedem anderen Land der Welt passieren können. Der Fahrer war übrigens – laut Polizei – nicht betrunken. Und vermutlich ähnlich geschockt wie wir.

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Als wir zwei Tage später am Flughafen von Vladivostok in ein Taxi steigen verspüre ich großes Unwohlsein. Und ich bin mir darüber bewusst, dass die Bilder und das Gefühl des Aufpralls im Tunnel noch einige Zeit da sein werden.

Vor und während einer großen Reise hat man wahrscheinlich immer mal wieder Angst. Der eine mehr, der andere weniger. Ich versuche meist, meine Angst anzunehmen und nur dann gegen sie zu kämpfen, wenn ich sie selbst für übertrieben halte. Ich denke, dass Angst mich auch vor Dingen schützen kann, dass Angst „gesund“ ist.
Ich erinnere mich an große Angst vor unserer Reise: Angst vor tropischen Krankheiten, der Angst es gäbe zu wenig Tankstellen in der Wüste, Angst vor Überfällen in gefährlichen Gegenden, Angst vor Landslides in den Bergen, Angst vor Problemen an den Grenzen, vor Willkür der Behörden – und natürlich der Angst vor einem Unfall mit unserem Auto.

Dagegen verspürte ich niemals Angst vor Taxifahrten, vor wilden Elefanten, vor Erdbeben, vor tödlichen Unwettern im Annapurna oder vor umfallenden Bäumen in Thailand … Situationen in denen wir – oder Freunde von uns – während dieser Reise tatsächlich unmittelbar mit dem Tod konfrontiert wurden.
Gesunde Angst macht uns wach, aufmerksam, vorsichtig – und das ist in jedem Fall wichtig. Es ist dennoch immer wieder erschreckend, dass wir trotz dem Respekt vor dem Unvorhersehbaren, gesunder Vorsicht und Rücksicht niemals darauf vertrauen können, dass alles gut geht. Mir wieder einmal mehr unserer verhältnismäßig kurzen Verweildauer auf diesem Planeten bewusst, bin ich dankbar und glücklich, dass weder dem Fahrer noch Peter oder mir etwas Schlimmes passiert ist. Danke, Leben!

… und in Zukunft fahren wir lieber wieder selbst.

 

Seoul

 

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7 Kommentare

  1. Klaus-Uwe Eckstein

    Man sollte nie schneller fliegen, wie sein Schutzengel, sagte meine Mutter als ich mit dem UL-Fliegen anfing. Euere war auch recht flott unterwegs.
    Ich hatte einen Autounfall und obwohl nur ein großer Blechschaden auftrat, kenne ich diese komische Angst. Noch zwei, drei Wochen genügte es, wenn ich Bremsen pfeifen hörte und sie war wieder da. Legt sich aber.
    Weiterhin gute Reise und einen schnellen Schutzengel.

    Klaus

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