Glaarkshouse

„Unpässlichkeiten“ in Katmandu. Oder wie es weiter geht, wenn es nicht mehr weiter geht.

„Und aus dem Chaos sprach eine Stimme zu mir:
Sei froh und lächle! Es könnte viel schlimmer kommen!
Und ich war froh und ich lächelte und es kam viel schlimmer!“

Eigentlich war alles sehr gut geplant: ein paar Tage in Katmandu um das Sightseeing-Pflichtprogramm zu absolvieren aber vor allem, um das China-Visum zu beantragen und abzuholen und dann wieder raus aus der Stadt, die nicht unbedingt als Luftkurort bekannt ist – und auf nach Tibet …

Kathmandu Kathmandu Kathmandu

So einfach könnte das sein. Nun, wir hatten einen sagen wir „fulminanten“ Start: In den ersten vier Stunden ist es uns gelungen, zweimal den Verkehr auf respektablen Durchgangsstraßen aufgrund von Wendemanövern mit unserem Auto zum Erliegen zu bringen, eine „super Stellplatzempfehlung“ trotz GPS Daten nicht zu finden und den Abend umzingelt von Betrunkenen auf einem staubigen Busparkplatz – oder vielleicht war es auch ein Fußballfeld – ausklingen zu lassen. Für die nächsten Tage hatten wir auf jeden Fall noch Steigerungspotential … Und wussten nicht, dass wir dieses vollends ausschöpfen würden.

Katmandu ist eigentlich eine kleine, überschaubare Stadt – verglichen mit indischen Kleinstädten ist es schon fast eine Oase! Offiziell wohnen dort 1 Million Menschen, es gibt eine Ring Road, einen Fluss und allerorts ein buntes, vielfältiges Treiben in das man sich als Tourist bedenkenlos fallen lassen kann.
Und so setzen wir uns auf unsere Falträder und lassen uns fallen, in diese Stadt. Wir genießen echten Kaffee und echtes Rindfleisch in den unzähligen Kaffees und Restaurants in Thamel und auf der Freakstreet, entspannen in der vollkommen unerwarteten Ruhe des Garden of Dreams, gehen einkaufen in den unendlichen Gassen rund um den Katmandu Durbar Square, kämpfen uns auf den Rädern zum Monkey Temple (Swayambhunath) rauf und entdecken Viertel in denen bestimmt nur wenige Touristen gesichtet werden.

Monkey Temple Pathan Pathan Pathan Pathan

Leider haben wir auch etwas zu erledigen: das China-Visum. Unser Tibet-Reiseveranstalter hat einen Partner in Katmandu, der sich um alles kümmern will. Wir treffen ihn zusammen mit Argid und Raimund, unsere Mitreisenden für die Tibet-Durchfahrt, und übergeben ihm unsere Pässe. Und siehe da, 5 Tage später bekommen wir die Info, dass alles geklappt hat. Argid und Raimund nehmen unsere Pässe in deren Guesthouse in Empfang. … und hoppala …

Unpässlichkeit Nr. 1 // … leider hat sich der Veranstalter bei den Daten vertan! Wir sollen in 19 Tagen (anstatt 33) durch Tibet und China fahren. This is not going to happen! Der erste gruppendynamische Höhepunkt unserer geplanten Tibet-Reise. Gemeinsam und mit geballter Kraft erklären wir dem Reiseveranstalter, dass wir auf unsere 33 Tage bestehen. „Sei froh und lächle! …“
Nach ein paar Tagen und vielen Emails ist die Lösung aber gefunden: in Lhasa wird das Visum verlängert.
Wie geplant machen wir uns zwei Tage vor Reisebeginn auf den Weg zur tibetischen Grenze. Bei einem kurzen Stopp schaue ich mir die beiden Bremsflüssigkeitszylinder genauer an. … hmm … „es könnte viel schlimmer kommen!“ …

Unpässlichkeit Nr. 2 // … es beunruhigt uns doch etwas, dass der eine Zylinder auf sehr kurzer Strecke sehr viel Flüssigkeit verloren hat. Da wir nur eine halbe Stunde von Katmandu entfernt sind und dort ein begnadeter Schrauber seine Werkstatt hat, fahren wir kurzer Hand zu Irvine. Er vermutet, dass der Hauptbremszylinder undicht ist. Soweit kein allzu akutes Problem. Nur dumm, dass wir in zwei Tagen über die chinesische Grenze rollen und dann ein wenig im Himalaya „spazieren fahren“! Irvine versichert uns, dass wir „wahrscheinlich“ auch weiterhin genug Bremskraft haben, nur austauschen sollten wir den Zylinder dann schon mal.
Wir klären mit einem deutschen Ersatzteillieferant die Lieferung nach China und fahren zur Grenze. Die Fahrt geht durch ein wunderschönes Tal und wir freuen uns zunehmend auf den bevorstehenden Trip auf das Dach der Welt!

Es ist schon spät als wir im „Last Ressort“ Argid und Raimund treffen. Die beiden hatten an diesem Abend gar nicht mehr mit uns gerechnet. Und wir hatten nicht damit gerechnet, dass der Name des Ressorts für uns Programm sein sollte. Es ist Samstagabend. Am Montagmorgen geht es endlich los.
Den Sonntagmorgen verbringen wir ganz entspannt: wir überlegen wo wir unsere Dalai Lama Schriften im Auto verstecken, trinken sehr echten Kaffee, plaudern, verabreden uns mit Argid und Raimund um die nächsten Tage zu besprechen, schreiben die letzten Emails vor der chinesischen Internetzensur, und lesen Mails … „und lächeln immer noch!“ …

Unpässlichkeit Nr. 3 // … es ist gegen 11.30 Uhr morgens als unser Tour Operator uns per Mail darüber informiert, dass die Chinesen über Nacht eine Region Tibets für Touristen gesperrt haben. Wir dürfen da nicht durch, wohl aber chinesische Fahrer. Mit unseren Autos! Aber ohne uns. Wir sollen die Strecke mit dem Zug fahren. Zunächst wollen wir Vier das nicht glauben, schlagen andere Routen vor und warten bei sehr sporadischer Internetverbindung mehr als gebannt auf die Antwort.

Es gibt nur eine mögliche Straße, die uns von Lhasa nach Norden bringt und genau diese ist für Touristen geschlossen. Jen und ich zermartern unseren Kopf, versuchen für uns herauszufinden, ob wir unser Auto einem anderen Menschen für so eine Herausforderung – 1.200 km und 3mal auf über 5.000 Meter rauf – anvertrauen wollen. Schlagen Verladen auf einen Zug oder Tieflader vor. Nichts geht! Argid und Raimund sind sich sicher: sie wollen durch Tibet und China durch. Notfalls durch einen fremden Fahrer.

Last Ressort Peter (genervt) Krisensitzung Krisensitzung

Es ist Montagmorgen. Wir teilen zunächst unseren Mitfahrern und dann dem Veranstalter unsere schwere Entscheidung mit: wir überlassen unser 28 Jahre altes Ein-und-Alles keinem fremden Fahrer! Zu sensibel und vor allem unberechenbar ist der alte Herr. Argid und Raimund, die uns während der Planung des Trips sehr ans Herz gewachsen sind, finden das zwar nicht gut – respektieren aber unsere Entscheidung. Sie werden trotzdem fahren. Jen und ich haben noch keine Ahnung wie es für uns nun weitergehen soll und …

Unpässlichkeit Nr. 4 // …lässt leider nicht lange auf sich warten! Der Reiseveranstalter informiert uns, dass nun die gesamte Reisegruppe storniert ist. „Ja, kann man nichts machen! Zolldokumente blablabla …“
Nach dem gruppendynamischen Tiefpunkt vom Vortag folgt nun ein unglaublich anstrengender, emotional geladener Montag. Es vergehen viele Stunden und unzählige Emails ehe endlich jemand ein Einsehen hat und Argid und Raimund die Reise am Folgetag antreten lässt.
Wir sind alle zutiefst erleichtert! Jen und ich hätten uns lieber in die Schlucht vor dem „Last Ressort“ geworfen als daran schuld zu sein, dass Argid und Raimund nicht weiterfahren können. Aber Gott sei Dank ist dann alles geklärt! Und wir können endlich Raimunds Geburtstag feiern! Die Verabschiedung am nächsten Morgen ist sehr traurig – aber doch von viel Erleichterung von uns allen geprägt! Und so biegen wir rechts ab, Richtung Katmandu, während die beiden anderen die lange Schlucht zur tibetischen Grenze rollen.

Argid und Raimund Kathmandu Valley

Jen und ich brauchen nun dringend ein bisschen Natur, bevor wir zurück nach Katmandu fahren. Also verbringen wir ein paar Tage am Bhote Kosi Fluss, tragen unzählige Ideen zusammen, wie es nun weitergehen soll, was wir in Indien oder Nepal noch gerne erleben würden, welche anderen Länder uns interessieren, recherchieren Klimatabellen und Regenzeiten und diskutieren, beschließen, verwerfen Entscheidungen und schlafen eine Nacht drüber.
Es ist der 8. Mai 2014. Der Schrecken hat hoffentlich ein Ende und wir haben einen Plan! Wir werden unser Nepal-Visum verlängern, die Bremsanlage wird repariert, wir beantragen ein neues Indien-Visum, die Regenzeit verbringen wir im indischen Himalaya in Ladakh. Danach fahren wir in den Nordosten Indiens und von dort durch Myanmar nach Thailand. So der Plan! … das Leben könnte schlimmer sein!

Pathan Pathan Pathan Jen in KTM Pathan Momos

Zurück in Katmandu stellen wir uns bei Irvine in die Werkstatt. Seine Jungs fangen auch sofort an, die Bremsanlage auseinanderzubauen. Und siehe da, endlich eine gute Nachricht: es ist offensichtlich nicht der (800 Euro) Bremszylinder. Nur die Dichtungen an den Bremskolben sind undicht. Daher der Flüssigkeitsverlust. Wir bestellen die richtigen Teile und müssen leider ein paar Tage auf die Sendung aus Deutschland warten. Aber kein Problem, wir haben genug zu tun: nepalesische Immigrationsbehörde, indische Botschaft, Sightseeing in Pathan – übrigens um ein Vielfaches schöner als das doch sehr touristische Thamel! Ach so, und dann müssen wir unsere Ersatzteillieferung aus dem Zoll am Flughafen Katmandu holen.

Dieses Erlebnis hat Potential in die Reihe unserer „Grenzerfahrungen“ aufgenommen zu werden … wir bekommen das Paket mit viel grauen Haaren aus dem Zoll, doch leider … „kam es noch viel schlimmer!“ …

Irvine's Workshop Tandemhauptzylinder

Unpässlichkeit Nr. 5 // … fehlt ein Dichtungssatz! Die 1-Million-Dollar-Frage ist nun: Wo ist der fehlende Satz? Hat sich der Zoll diesen unter den Nagel gerissen? Der Zollagent, der das Paket einfach ohne uns geöffnet hat? Oder war das Paket vielleicht unvollständig? Am Abend haben wir nach einiger Recherche die Lösung. Das Paket wurde unvollständig verschickt. Sehr schade! Nach 6 Monaten Indien und Nepal rechnet man immer mit „Unvollständigkeiten“ und „lächelt“! Nur nicht bei einer Lieferung aus Deutschland! Shit happens! … everywhere …

Aber wir sind ja in Nepal, also fängt Irvine schon mal an, die vorhandenen Ersatzteile einzubauen, während die Nachsendung auf dem Weg nach Katmandu ist. Diesmal ist TNT wirklich schnell. In 5 Tagen ist es da. Mittlerweile sind wir 4 Wochen in Katmandu und Umgebung. Wir vereinbaren mit TNT, dass wir nicht noch einmal zum Customs Office müssen da wir ja schon den kompletten Zoll bezahlt haben und dürfen unser zweites Paket direkt im TNT Office abholen. Wir zählen schon die Stunden bis wir nach abgeschlossener Reparatur endlich aus Katmandu raus dürfen. Wir fahren also zu TNT, nehmen das Paket in Empfang, wundern uns über die gigantische Verpackung für zwei mickrige 60 Millimeter Dichtungsringe, reißen die Verpackung auf und … „es geht sogar noch schlimmer!“

Unpässlichkeit Nr. 6 // … es ist das falsche Ersatzteil! Kann das sein? Darf das sein? Warum muss das sein? Der Fassungslosigkeit folgt unser Lachen. Wir beide stehen also vor dem TNT Office in Katmandu, die Sonne nähert sich schon dem Horizont, wir halten das Paket mit dem mittlerweile zweimal gelieferten Reparatursatz 0044308201 in Händen und meine Frau sagt „What can you do? It’s part of the game!“ … wir schütteln uns vor lachen – oder ist es schon Hysterie?!

Holi

Uns reicht es nun aber mit Katmandu! Wollen nach Pame! Zu Erich auf den Stellplatz! Ein bisschen Ruhe genießen! Zumindest ist das Auto fahrbereit. Das fehlende Teil lassen wir uns nach Pokhara schicken. Kurz nach Sonnenaufgang sind wir auf dem Weg dort hin. Welch Erleichterung, aus der guten alten Kathmandy raus zu fahren!

7 Stunden später rollen wir mit dem üblichen Regenguss am Nachmittag über die Straßen in Pokharas Lakeside. Es ist wunderbar zu wissen, dass wir jetzt erst mal allen Unpässlichkeiten aus dem Weg gehen können. Wir machen jetzt einfach mal nichts! … denken wir … „und lächeln!“

 

 

… to be continued …

 

 

 

4 Kommentare

  1. Hi
    „You can only hold a smile for so long, after that it’s just teeth.”
    ― Chuck Palahniuk, Invisible Monsters

    Trust you guys are up there! A smal quote reflecting the possible truth – but keep smiling!
    There is also a afrikaans saying: vasbyt – translated as bite through / oder durch die Situatione durchbeissen!

    There are some awsome walks – if you are up to it in the Pokhara area. Not sure if the lake is still usable for relaxing but we used to hire little fishing boats to paddle along and across.

    T&J

  2. Pingback: Drücken Sie auf „Pause“. Unsere Vorgartenidylle in Pokhara. | Glaarkshouse

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