Glaarkshouse

„Mann“ Sein. In Indien.

Als ich meine Frau vor ein bisschen mehr als 9 Monaten heiratete, wusste ich nicht wie das ist, wenn man „Ehemann“ ist! Wird sich unsere Beziehung ändern? Werde ich mich ändern? Wird die Verantwortung mich ändern?

Natürlich fühlt sich das nun alles anders an: Wir sind eine kleine Familie geworden. Da ist eine Verantwortung. Eine spezielle, andere Verantwortung. Und diese Verantwortung fühlt sich wunderbar an. Wobei ich ehrlicherweise zugeben muss, dass ich nicht genau weiß, ob es ganz allein an unserer Ehe liegt oder auch daran, dass wir zusammen in ein großes Abenteuer gesprungen sind. Wir fahren in unserem eigenen Zuhause durch die Welt.

Schon vor unserer Heirat waren wir beide sehr unabhängige und selbständige Menschen. Kamen sehr gut alleine zurecht. Und haben das „Dinge auf eigene Faust tun“ beide sehr genossen! Was soll sich also nun wegen einer Eheschließung ändern?

Seit wir losgefahren sind, haben wir in den unterschiedlichsten Gegenden übernachtet, auf den zweifelhaftesten Märkten eingekauft, mit den zwielichtigsten aber auch mit den wundervollsten Menschen gesprochen und haben allerlei Dinge auch ganz alleine gemacht. Natürlich habe ich mich an manchen Orten gefragt, ob es in Ordnung ist wenn meine Frau alleine „loszieht“. Und ich habe mich jedes Mal riesig gefreut, wenn sie wieder zurück war. Nämlich, weil ich sie vermisst habe! Und nicht vor Erleichterung, weil sie gesund zurück kam und nichts passiert war!

Frau sein

Und nach ein paar Monaten auf Reisen kam mir das ganz normal vor, dass auch jeder mal für sich „losziehen“ kann. Dass wir auf einem Bazar mal ganz in Ruhe alleine stöbern können und uns nicht nur händchenhaltend fortbewegen müssen. Dass wir an der Tankstelle oder vor einer Werkstatt beide aus dem Auto springen. Dass meine Frau von anderen Männern und Frauen höflich angesprochen wird. Dass ich meiner Frau nicht immer die Tür des Unimogs aufhalten muss. Dass ich auch nach Einbruch der Dunkelheit nicht überlege, ob es okay ist, irgendwo auszusteigen. Ganz einfach: wir beide reisten als eigen- und selbständige Menschen in diesen so unterschiedlichen Kulturen. Bis zu diesem einen Tag, an dem sich alles so schlagartig veränderte.

Natürlich sind die ungeheuerlichen Grausamkeiten, die in jüngster Vergangenheit indischen genauso wie nicht-indischen Frauen angetan wurden (und sich unfassbarer Weise jeden Tag wiederholen) nicht an uns vorbei gegangen. Natürlich haben wir die Berichterstattung verfolgt, Meinungen von Indern eingeholt, Kommentare gelesen. Und natürlich haben wir versucht offen zu bleiben und nicht alle fast 1,3 Mrd. Inder (oder die mindestens 650 Millionen indischen Männer) in einen Topf zu werfen. Und ich wage zu behaupten, dass es uns gelungen ist, weil wir hier so wunderbare Menschen kennenlernen durften, weil wir zusammen gelacht, gelernt, diskutiert und verstanden haben. Aber dann war diese Offenheit weg und was kam war Misstrauen und Vorsicht. Große Vorsicht!

Am helllichten Tag springt Jen aus dem Auto um an einem Stand ein paar Früchte zu kaufen. Ich bleibe im Auto sitzen. Sie kommt zurück, ich sehe sie vor der geöffneten Beifahrertür stehen. Lachend und freundlich wie immer sagt sie zu jemandem, den ich nicht sehen kann „No, thank you.“ Sie wiederholt es mit etwas mehr Nachdruck und dreht sich um, um in den Truck zu steigen. Und plötzlich sehe ich einen fremden Arm fest um die Taille meiner Frau greifend. Sie schreit! Und knallt die Tür zu! Ich springe aus dem Auto und renne auf die andere Seite. Vor mir steht ein Mann, der mir warum auch immer eine Kichererbse vor die Nase hält. Brüllend, mit gehobener Hand deute ich ihm, dass er nie wieder meine Frau anzufassen hat … dass er nie wieder eine Frau anzufassen hat!

Ob er mich verstanden hat? Ob er debil ist? Oder einfach nur bekifft? Ich weiß es nicht. Ob ich ihm gerne zwischen die Beine getreten hätte? Ja! Ob ich es bereue, dass ich es nicht getan habe? Wenn ich manchmal genervt bin, weil wir uns gezwungen fühlen, so vorsichtig zu sein, dann ja! Das öffentliche Bloßstellen durch meine Tadelung auf offener Straße war wahrscheinlich effektiver für seinen Lernprozess (so meine naive Hoffnung). Es war aber nicht unbedingt „heilsamer“, um diese Situation schnellstmöglich bewältigen zu können – für keinen von uns beiden.

Was bleibt ist diese Vorsicht: Ich will im Augenblick nicht dass Jen hier alleine loszieht. Am hellichten Tag alleine ein paar Früchte einkaufen ist vorbei. Sie geht jetzt fast nirgends mehr alleine hin. Weil es mir lieber ist. Und sie sich nicht mehr traut. Und ich begleite sie zur Autotür. Und schließe diese hinter ihr.

Unglaublich schade! Dieser eine einzige Vorfall, der auch in jedem anderen Land hätte passieren können, dieser Vorfall hat ausgereicht, um unsere Befürchtungen und vor allem die Konsequenzen für unser Verhalten Wirklichkeit werden zu lassen! So sehr wir uns auch dagegen wehren. Sie sind einfach da. Und der Vertrauensvorschuss weg.

„Mann“ Sein in Indien kann ganz schön anstrengend sein. Aber wie muss es sein „Frau“ zu sein! In Indien. Jeden Tag. Für Männer ist das wahrscheinlich unvorstellbar. Und meine „Anstrengung“ lächerlich verglichen mit der Situation einer Frau. In Indien.

Ich bewundere meine Frau für ihren ungebrochenen Mut und ihre Reiselust! Danke!

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4 Kommentare

  1. Indien! Indien ist unbegreiflich, unverständlich….seltsam!
    Mann sein oder Frau? Mir wurde damals in Indien auf öffentlicher Straße, obwohl ich ein Mann bin, beinahe eine Piercingnadel durchs Ohr gerammt.
    Indien ist undruchschaubar!

  2. Nerina Wilter

    WOW! Peter!

    what a wonderul piece, thank you so much for writing about such an important theme, with such objectivity and openess.

    The more I read BOTH your writings, the more I think you should both go into journalism…

    Send some of your articles to the Guardian!!!

    But really I wanted just to say: THANK YOU! For looking after Jenny!

    love Nerina

    Nerina Wilter MA (RCA) Grafik Design

  3. Hallo Ihr zwei, das ist wirklich schlimm was man da immer hört und das auch ihr nun so eine schreckliche Erfahrung habt machen müssen tut mir leid. Ich hoffe ihr könnt Eure so tolle Reise weiter genießen und das die positiven Erlebnisse überwiegen.
    Wenn bei uns alles klappt können wir in 2 Jahren in Richtung Osten aufbrechen und bis dahin haben wir Eure tollen Bilder. Danke Gruß Chris (MaggieTouring)

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