Glaarkshouse

Unsere türkischen Nachbarn.

Keine Sorge, wir wollen uns nicht an der Debatte zum Thema „Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland“ beteiligen. Ganz im Gegenteil ­– unsere Nachbarn am wundervollen Strand von Eregli sind Türken. Da wir uns in der Türkei befinden, ist es aber auch nicht weiter ungewöhnlich, dass die Menschen hier Türken sind. Na gut, wir könnten auf einem Campingplatz in der Türkei stehen und von Deutschen und Holländern umzingelt sein, aber wir stehen ja am Strand. Mitten drauf.

Aber der Reihe nach. Nach fünf Tagen Istanbul waren wir fertig. Fertig mit dem Sightseeing. Fertig mit dem Trubel. Fertig mit diversen Erledigungen. Und wir waren bereit für ein paar Tage Ausspannen. Nachdem wir bis jetzt schon einige Tage am Mittelmeer in unterschiedlichen Ländern zugebracht haben, wollen wir nun ans Schwarze Meer, ans Wasser, an den Strand. Nichtstun. Simba und seine 7,5 Tonnen werden mit viel Konzentration aus Istanbul gelenkt. Bei einer 20 Millionen Stadt dauert das eine kleine Ewigkeit.

Peter  Brücke über den Bosporus

Aber dann ist es soweit: am 11. Juli 2013 so gegen 12 Uhr Mittags fahren wir über die Bosporusbrücke in einen anderen Kontinent. Wir sind in Asien! Nach einer weiteren Ewigkeit haben wir Istanbul und die Vororte hinter uns gelassen und fahren geradeaus nach Osten! Es wird ruhiger, aber nicht ruhig.

Endlich, am späten Nachmittag erreichen wir die Schwarzmeerküste. Wir sehen ein paar Erdgasplattformen im Meer stehen. Die Wellen brechen sich mit viel Gischt. Es weht ein giftiger Wind. Auf den ersten 20 km wird der Strand von einer Schnellstraße eingezäunt. Die Autos brettern mit 120 dahin. Tolle Gegend! Ich habe Hunger. Und meine Frau bestimmt auch. Sie wird gleich ungeduldig werden. Der Tag zieht sich. Wir fahren dahin. Reden wenig. Sind beide ein bisschen enttäuscht. Ein bisschen müde wahrscheinlich auch. Fahren durch einen Ort nach dem anderen. Sehen Fabriken, Stahlfabriken, Betonfabriken, Schiffswerften. Riesige beladene Sattelschlepper rauschen an uns vorbei.

Wir erreichen Eregli. Eine Stadt. Eine „Mittelgroße Stadt“ sagt Lotta – unser Navi. Ein bisschen Industrie, eine Strandpromenade. Wirkt aufgeräumt. Wir brauchen auch noch Bargeld. Jen macht sich auf den Weg zum Automaten. Ich bleibe beim halblegal geparkten Auto.

Es kommen die ersten Besucher. Sie schauen. Daumen hoch. Wie so oft. „Congratulations“ ruft einer. Wahrscheinlich wegen dem „Just Married“, das auch nach zwei Monaten noch unsere Rückseite ziert. Ich spiele mit dem Navi. Sehe, dass gleich die Stadt zu Ende ist, die Straße am Strand entlang leider auch! Die Sonne nähert sich schon dem Horizont. Schlafplatz suchen im Dunkeln ist wenig Vergnügen. Wir fahren weiter, raus aus der Stadt. Wieder vorbei an Fabriken. Links von der Straße geht es viele Meter steil runter, wahrscheinlich zum Meer. Bäume und Sträucher versperren uns auch noch die Sicht. Wir wollten doch ans Wasser. Wir halten auf einer Brücke.

Endlich sehen wir wieder das Meer. Und trauen unseren Augen nicht. Da ist es: das Tagesziel. Eine wunderschöne Bucht. Dunkler Sand. Kaum Menschen. Keine Autos zu sehen. Weit unter uns. Nichts wie hin. Wir fahren. Schnell. So schnell es eben geht. Und erreichen noch vor Sonnenuntergang den Strand. Dort stehen ein paar Zelte. Nicht mehr als drei. Keine Touristenzelte. Wir sind uns nicht sicher, ob wir hier übernachten können. Meine wundervolle Frau springt aus dem Auto und verständigt sich mit Händen und Füßen mit einer anderen Frau, die in einem kleinen Zelt an diesem Strand zu leben scheint. Es sei wohl okay hier zu bleiben, verstehen wir. Es war mehr als nur okay hier zu bleiben – wie sich noch rausstellen wird. Ich fahre über ein paar „Baby“-Pöller direkt auf den Strand und parke unser Zuhause nicht weit von der Hüttenbehausung dieser freundlichen Frau. Simba findet das richtig super. Im Sand spielen.

Finde Simba! Simba am StrandErfrischung am Morgen Zelte am Strand

Ein paar Minuten später baden wir beide zum ersten Mal im Schwarzen Meer. Und wir stellen uns die Frage, warum das Schwarze Meer eigentlich Schwarzes Meer heißt. Noch mal ein paar Minuten später sitzen wir vor unserem Auto, schauen der Sonne zu, wie sie endgültig für diesen Tag in diesem Schwarzen Meer zu versinken droht und essen – endlich. Nichts Besonderes. Wir waren beide sehr hungrig. Doch plötzlich steht unsere türkische Nachbarin vor uns. Mit einem Teller in der Hand. Darauf: selbst gemachtes Börek. Sie sagt etwas dazu. Wir verstehen sie nicht. Und dann ist sie auch schon verschwunden. Wir schauen uns verdutzt an. Probieren. Es schmeckt köstlich. „Nefisti“ auf türkisch ­­­– wie uns der Lonely Planet lehrt. Können es immer noch nicht glauben, was uns gerade widerfahren ist. Nippen weiter an unserem Weinglas. Zwei Mädchen kommen auf uns zu. Sie halten einen Teller in der Hand. Wünschen uns „Congratulations!“ und fragen „Where are you from?“ Bevor wir antworten können, stehen auf unserem Tisch drei Teller ­– mit gefüllter Paprika, Weinblättern und Wassermelone. Wir beide sind gerührt. Überwältigt. Wissen gar nicht so recht, was gerade vor sich geht. Ich stelle mir die Frage, ob mir das in Deutschland schon einmal passiert ist. Nie. Jen ist genauso sprachlos. Versunken in Gedanken und verzweifelten Versuchen, das alles zu verstehen, wird es endgültig dunkel.

Mark, ein verrückter Engländer, der mit dem Fahrrad von London bis auf die Philippinen radeln möchte, hat ein paar Meter weiter sein kleines Zelt aufgebaut. Wir teilen die Essensgeschenke mit ihm. Quatschen noch einige Zeit über seine bescheuerte Idee, mit einem Klappfahrrad bis auf die Philippinen zu fahren und über unsere Reise, was hinter uns ­– und noch vor uns liegt. Wir drei wissen nicht so recht damit umzugehen, dass unsere türkischen Nachbarn uns so wahnsinnig freundlich willkommen geheißen haben. Nach ein paar Bier, Wein und Schnäpsen fallen wir ­– begleitet vom Meeresrauschen – erschöpft in den Schlaf. Der nächste Morgen läuft wie immer, wenn wir am Meer stehen. Kaffee, Schwimmen, Housekeeping. Sein.

Und dann passiert die nächste Überraschung: ich wurschtle irgendwas am Auto. Der Tank auf der Fahrerseite scheint nicht ganz dicht zu sein. Egal, ich wurschtle da so vor mich hin. Auf einmal sehe ich, unsere türkische Nachbarin und ihr Mann winken uns heftig. Kann ja nicht verkehrt sein, ihnen auch zu winken. Dann hebt er sein Cay-Glas. Ich habe verstanden und schreie „Jen, wir sind zum Tee eingeladen!“ Jen schaut mich mit großen Augen an und erwidert „Okay!“. Alsbald sitzen wir also bei unseren „neuen“ Nachbarn, die uns am Vorabend noch mit Selbstgebackenem zum staunen gebracht haben, auf dem Sofa vor dem Zelt. Ach so, wir trinken Tee! Und wir verstehen kein Wort. Keiner von uns. Einzig die Gestik hilft uns zu begreifen, dass die beiden mit ihren beiden Söhnen hier leben und Fisch fangen und Boote verleihen und kleine Bootstouren anbieten. Wir versuchen zu erklären, dass wir hier nur für ein paar Tage bleiben, dass wir aus Deutschland kommen, dass wir bis nach Indien fahren wollen und dass wir es hier echt sehr schön finden. Leider können wir uns nicht sicher sein, dass unsere Nachbarn das alles verstanden haben. Was wir aber verstanden haben ist, dass die beiden ein sehr einfaches Leben führen, sie wirken glücklich, und oft sehen wir sie beide richtig anpacken, mit den Booten, mit den Fischnetzen, mit den gefangenen Fischen. Beide strahlen, und sie strahlen diese tiefe, nicht erschütterbare Verbundenheit mit diesem wunderschönen Fleckchen Erde aus. Sie gehören hierher. Und sie haben uns für ein paar Tage hier sein lassen und uns verstehen lassen, warum sie hier sind und nirgendwo anders. Wir beide sind mal wieder gerührt, weil wir uns immer noch nicht daran erinnern können, wann uns das in Deutschland schon einmal passiert ist.

Irgendwann entscheiden wir uns, den Tag in vollen Zügen zu genießen. Sitzen in der Sonne, schwimmen, lesen. Am späten Nachmittag kommt ein Herr mit einem kleinen Jungen an der Hand direkt auf uns zu. Er begrüßt uns mit den Worten „Hello, I am Mehmet and this is Efe!“ Es stellt sich heraus, dass er unser Auto interessant findet und dass er seinem Enkelkind unseren Unimog zeigen wollte. Wir reden über unsere Pläne, über Deutschland und Jen packt den kleinen Efe bei der Hand und zeigt ihm unser Zuhause von innen. Er ist bass erstaunt. Die beiden verabschieden sich höflich. Wir grinsen über die Neugier und denken uns, dass wir selbst schuld sind: stellen wir uns auch so frech mitten auf den Strand.

Wir gehen schwimmen, lesen, machen all das weiter was man eben am Strand macht und dann stehen Mehmet und Efe wieder vor uns. Sie haben ihre Sachen gepackt und wollen sich verabschieden. Dachte ich!

Nun, nach einigen Verständigungsschwierigkeiten haben wir endlich verstanden: Mehmet kommt uns um 19.30 Uhr mit seinem Auto abholen. Wir fahren dann zur Geburtstagsfeier seiner Tochter, zu der wir herzlich eingeladen sind. Um 22.00 Uhr fährt uns Mehmet wieder zurück an den Strand. Jen und ich schauen uns an und können es mal wieder nicht glauben, mit welcher Offenheit und Neugier die Menschen uns begegnen. Der nächste Gedanke ist „Scheiße! Was bringt man einer türkischen Familie während des Ramadans mit!?!?“  Die nächsten zwei Stunden wird hektisch überlegt und gesucht. Wir sind auf so viel Gastfreundlichkeit gar nicht vorbereitet! Wir finden ein vakuumverpacktes „deutsches“ Roggenbrot – ein Reise-Geburtstagsgeschenk von meiner Schwester, die mir das hoffentlich verzeiht!

Um 19.28 Uhr steht Mehmet vor unserem Auto. Wir fahren los. In die Stadt. Eregli. Und 20 Minuten später sitzen wir auf einem Sofa in einem sehr großen türkischen Wohnzimmer in einem sehr schönen türkischen Haus. Neben uns Mehmets Frau, Muhterem, ihre Mutter Sabahat, ihre Tochter Deniz und ihr Sohn Ismail. Und natürlich der kleine Efe. Wir reden über alles Mögliche. Berufe, Politik, Wirtschaft und der arme Ismail muss alles simultan englisch/türkisch übersetzen. Nach Sonnenuntergang wird das Fasten des Ramadans „gebrochen“. Alle warten gebannt auf das Go in Form eines lauten Gesang des Muezzins. Und wir dürfen an einem köstlichen Abendessen teilhaben. Es gibt Joghurtsuppe, gefüllte Paprika und Weinblätter, Salat, Reis, Leberbällchen, Joghurt, Oliven, Käse und wir müssen endlich die Frage der Fragen stellen: warum lädt diese wundervoll herzliche Familie uns wildfremde Menschen einfach so zum Abendessen ein? Und die Antwort könnte nicht klarer und präziser sein: „Because we like to learn something about other people!“ So einfach kann das Leben sein!

Nach dem Essen kommen noch Mehmets Schwestern und eine Nichte vorbei und es gibt endlich die Geburtstagstorte. Wir lachen viel, vor allem bei den türkischen„Happy Birthday“ Ständchen und dem anschließenden Kerzenausblasen. Abgeschlossen wird der Abend mit einer Tasse Cay-Tee.

Mehmet bringt uns zurück zum Strand und verabschiedet uns mit einem Glas Marmelade, Käse und einem Käsestrudel aus seinem Heimatdorf Mengen. Wir schütteln uns kräftig die Hände und freuen uns schon auf Montag ­– da kommen wir mit Simba in Mehmets Werkstatt vorbei, um die Dieselleitung zu flicken.

Sprachlos von soviel Gastfreundschaft und mit sehr vollem Bauch wegen genau dieser Gastfreundschaft fallen wir ins Bett.

Unsere Nachbarn Türkische Gastfreundschaft Käse, Börek und Marmelade Strand bei Eregli

Und an diesem Abend wissen wir noch nicht, dass wir am nächsten Tag wieder von unseren Nachbarn zum Tee eingeladen werden, dass uns der Ingenieur Senol und seine Freunde und Kollegen zu Reisbällchen, Nüssen und Bier in ihre gemütliche Runde bitten werden, dass wir noch eine riesige Tüte voller Pflaumen und Birnen geschenkt bekommen werden, die wir zur Haltbarmachung zu Marmelade verarbeiten müssen und dass wir einen Tag später, an unserem letzten Abend am Strand von Eregli, mit Sherif und seiner Frau und vielen Freunden türkischen Mokka trinken und im Sand zu Sas-Musik tanzen werden.

Gefüllte Weinblätter Die türkischen Ingenieure Marmeladekochen I Marmeladekochen II

Als wir früh morgens den Strand verlassen verabschieden wir uns herzlich von unserer türkischen Nachbarin und fahren langsam – mit vielen wundervollen Gedanken und einem starken Gefühl der Verbundenheit mit diesem Strand und den Menschen den steilen Berg hinauf – zurück in die Stadt Eregli, die auf einmal viel mehr Sinn macht. Für ein paar Tage war das fast ein bisschen Zuhause.

Wow! Unsere türkischen Nachbarn haben uns wirklich umgehauen!  

5 Kommentare

  1. Dirk Knapp

    Hallo Peter ich vefolge eueren Blog mit Freude. Klasse Erfahrungen die ihr macht bzw. machen könnt. Schön auch zu sehen dass es euch gut geht und mit welcher Freude und Leidenschaft ihr euer Abenteuer dokumentiert. Weiterhin viel Freude ubnd guet Gesundheit von den Knapps. Ciao Dirk

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  2. Pingback: nuestra américa | Reiseblog – Langzeitreisen mit Autostopp und Couchsurfing

    • Wir auch! Sehr sogar! Wir wurden vor einem halben Jahr in Kashmir von einem Rikshah Fahrer gefragt ob es wahr sei, dass es in Deutschland für Foreigners gefährlich sei?! Nicht mehr als in anderen Großstädten dieser Welt antworteten wir.
      Wahrscheinlich zweifelt er spätestens jetzt an unserer Antwort!
      Sehr traurig. Sehr beschämt!

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  3. Pingback: “Weil ihr Gäste seid in unserem Land!” | Glaarkshouse

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