Glaarkshouse

Ivans Großmutter. Kroatien.

Es ist erst acht Uhr in der Früh. So zeitig sind wir eher selten wach. Bisher – auf dieser Reise. Doch wir haben uns gestern vorgenommen, etwas früher aufzustehen. Denn wir dachten, es wäre vielleicht unangemessen, zu lange in den Federn zu liegen, während der Bauer um uns herum schon lange arbeitet, Schweine und Hühner füttert, Kühe melkt und auf dem Hof herum werkelt. Wir wissen nicht genau wo wir sind, in welchem Dorf. Es war spät gestern Abend und wir sind einfach von der Autobahn Richtung bosnische Grenze herunter gefahren, um uns einen Platz zum Schlafen zu suchen. Das ist natürlich verboten in Kroatien. Wie in den meisten Ländern dieser Welt. Einfach irgendwo zu stehen, um zu schlafen – das ist nämlich illegal. Wenn auch unbegreiflich!

Jedenfalls stehen wir nun in diesem Feld, sehr früh an diesem Morgen. Trinken schnell unseren ersten Kaffee zum Wachwerden. Wir haben den Bauern gestern Abend mit Händen und Füßen um Erlaubnis gefragt. Er hat weder deutsch noch englisch verstanden, doch hat er uns sehr freundlich und mit einem warmherzigen Lächeln zu verstehen gegeben, dass es in Ordnung sei, dass wir für eine Nacht auf seinem Feld stehen. Direkt hinter seinem Haus.

Nachdem wir uns mit einer Dose Büchsenfleisch bedankt haben, beschert uns diese Übereinkunft einen wunderschönen Sonnenuntergang im Gemüsefeld, der Soundtrack für diesen Abend besteht aus gackernden Hühnern und zirpenden Grillen. Wunderschön! Idyllisch! Reisen, wie es schöner nicht sein kann.

Somewhere out there ...

Die Kinder des Bauers beobachten uns neugierig aus der Ferne. Was für eine Aufregung! Doch sie trauen sich nicht wirklich zu uns. Zu fremd sind diese komischen Menschen in ihrem monströsen Gefährt! Zu fremd wohl die Vorstellung, Freude daran zu haben, in einem Gemüsefeld zu übernachten.

Wir beenden den Abend mit Pasta und Wein in unserem Unimog und freuen uns auf eine frühe Nacht inmitten der Natur. In der Nacht regnet es wie aus Eimern. Doch in der Früh werden wir von Sonnenstrahlen geweckt.

Nun ist es also halb neun am Morgen und wir sehen zu – wenn auch sehr müde – den Hof so früh wie möglich zu verlassen. Wir wollen nicht weiter auffallen. Oder im Weg stehen, wenn der Bauer mit dem Traktor aufs Feld möchte. Doch kurz bevor wir den Motor starten, kommt plötzlich eine ältere Frau mit dem Fahrrad auf uns zu.

„Mist, jetzt gibt es wohl doch noch Ärger.“ – denke ich.
„Halt! Nicht losfahren!“ – ruft die Frau von Weitem.
„Mist!“
„Ich habe gebracht Kuchen für Sie!“
„Wie bitte?“

Die ältere Frau steigt von ihrem Rad und stellt sich vor. Ihr Gesicht strahlt vor lauter Aufregung. „Habe gearbeitet in Deutschland vor 37 Jahren. Wollen Sie Kaffee?“

Meine spontane Angst, nun doch noch beim „Wild Campen“ erwischt zu werden weicht einer unerwarteten Überraschung und Freude. Die ältere Dame lädt uns zu einem Kaffee in ihr Haus ein, so sehr freut sie sich, ein paar Worte Deutsch mit uns sprechen zu können. Ihre Wohnung ist im Erdgeschoss des Hofs. Sogleich trauen sich nun auch der Sohn, die Schwiegertochter und der fünfjährige Enkel Ivan um die Ecke. Wir nehmen Platz in dem eher ärmlichen und einfachen Wohnzimmer der Familie. Uns wird unglaublich starker, kroatischer Mokka gereicht und sogleich unterhalten wir uns über die Gastarbeit bei AEG in Deutschland, Fußball, die Heimat der Frau: Bosnien, die Landwirtschaft in Kroatien und unsere Hochzeitsreise. Die ganze Familie ist unglaublich warmherzig, interessiert. Der Sohn bietet uns Schnaps und Wein an, den wir aufgrund der Uhrzeit aber doch lieber dankend ablehnen. Als seine Mutter uns von ihrem Leben nach dem Tod des Mannes erzählt, springt sie plötzlich auf und zeigt uns ihr großes Hobby. Sie strickt und häkelt leidenschaftlich bunte Deckchen und warme Socken für die ganze Familie.
„Halt, ich hab was für Euch!“ – sagt sie und holt uns jeweils ein paar selbst gestrickte Socken aus dem Nebenraum. „Für euch! Freue mich so sehr, deutsch zu sprechen mit euch!“ – Sagt die Frau, die diese Sprache seit 37 Jahren so gut wie nie angewandt, jedoch kaum ein Wort vergessen hat.
Gerührt und glücklich verabschieden wir uns bald von Ivans Großmutter und der ganzen Familie. Mit dem Versprechen, dass wir jederzeit auf ihrem Hof stehen dürfen, wünscht sie uns nur das Beste für unsere Reise. Und viele gesunde Kinder.

Der Bauernhof

Ivans Großmutter und Vater

Glücklich über diese wundervolle Begegnung fahren Peter und ich vom Hof. Beim Gedanken daran, dass wir gerade von einer sehr armen Frau so reich, herzlich und selbstlos beschenkt wurden, steigen mir fast die Tränen in die Augen. Bei der Überlegung, ob es möglich wäre, dass jemand in unserem Land, in Deutschland, vollkommen fremde Menschen zu sich in die Wohnung bitten und sie beschenken würde, schweigen wir beschämt. Wir können uns das leider nicht vorstellen. Und fahren weiter. Sehr dankbar. Und sehr nachdenklich.

Lecker Kuchen

Warme Socken

Der Kuchen schmeckt wunderbar. Wir haben drei Tage davon – so viel ist das.
Die lustigen Socken geben unendlich warm in den kälteren Nächten dieser Reise.

 

 

 

 

5 Kommentare

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